Alter : 25 Beiträge : 386 Anmeldedatum : 04.05.13 Ort : In der Stadt wie Samt und Seide :P
Thema: Everlasting Do Jun 11, 2015 6:59 pm
Mein Beitrag zu 'nem Schreibwettbewerb von 2013, bin mir aber nicht sicher. :'D Einfach nur, um hier mal ein paar Themen reinzubringen. Wenn ich das irgendwo von mir kopiert wiederfinde, wird derjenige unerträgliche Schmerzen verspüren :^) Viel Spaß beim Lesen! <3
Spoiler:
Aufmerksam glitt mein Blick über die Blätter, die von den Bäumen fielen, musterte die Tiere, die emsig umher huschten und hielt den friedlichen Anblick fest, der sich mir bot. Das melodische Plätschern des Wassers und der warme Sonnenschein auf meiner Haut ließen mich entspannen wie noch nie zuvor. Um mich herum war es, bis auf die Geräusche der Natur, wunderbar ruhig. Eine Ruhe, die man erst kennen und schätzen lernte, wenn man sein bisheriges Leben in dem Trubel einer Großstadt voller Hektik und Lärm verbracht hatte – wie ich. Umso mehr genoss ich nun die umliegenden Geräusche und Gerüche, die beruhigend auf mich einwirkten, während meine Beine weiter ihre Arbeit taten und mich den Berg empor trugen. Eine Arbeit, die nun auch schon... wie lange ging? Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Aus dem Sonnenstand ließ sich schließen, dass es später Mittag war. Ich kümmerte mich nicht groß darum, ein Blick auf die Karte verriet mir, dass ich auf dem richtigen Weg war. Viel Erfahrung mit Kompass und Karte hatte ich bisher noch nicht gehabt, aber ich schlug mich doch ganz gut. Ich blickte wieder auf und musste unwillkürlich lächeln, als ich zwei Eichhörnchen sah, die einander einen Baum hinauf jagten. Seltsam, dass ich wegen solch banalen Dingen anfing zu lächeln, oder? Aber der Anblick war einfach zu niedlich, fesselte meinen Blick. Während meine Füße weiterhin ihren Dienst taten und meine Augen die Eichhörnchen in die Baumkrone verschwinden sahen, war es mir möglich, über Dinge nachzudenken, die mir sonst nie in den Sinn gekommen wären. Ich wusste nicht, wie ich es ausdrücken sollte, aber irgendwie war da eine philosophische Seite von mir zum Vorschein gekommen, die ich vorher noch nicht gekannt hatte. Hätte ich sie entdeckt, wenn ich mich nicht dazu entschieden hätte, diesen Pilgerweg zu beschreiten? Ich bezweifelte es. Und doch war es alles so gekommen. Ich hatte vor ein paar Wochen diese Dokumentation gesehen, über Pilger, die nach Jerusalem reisen, und bin so erst einmal auf die Idee gekommen, die mir beim ersten Mal zwar noch verrückt erschien, aber je länger ich darüber nachdachte, desto besser fand ich sie. Wenige Tage später hatte ich meine Sachen gepackt, alles, von dem ich dachte, dass ich es brauchen könnte, und war losgezogen. Im Nachhinein war es wohl doch eine verrückte Idee gewesen. Ich hatte absolut keine Ahnung von Karten, Wandern oder einem Kompass gehabt und doch hatte es auf wundersame Weise alles geklappt. Immer noch weiß ich nicht, wie weit ich diesen Weg gehen will. Mit meiner Ausrüstung, meinen ganzen Ersparnissen, dem Schlafsack und all den anderen Dingen, die ich mit genommen hatte, würde ich es bestimmt bis nach Spanien, zum eigentlichen Ziel der Pilger, die den Jakobsweg beschreiten, schaffen: Zum Grab des Heiligen Jakobus. Doch darum ging es mir ja eigentlich nicht. Als ich losgezogen war, ging es mir nur darum, von meiner alten Umgebung weg zu kommen, Zeit für mich zu haben, Zeit zum Nachdenken. Zeit, um meine eigenen Ziele zu finden, zu erkennen. Nicht darum, ein Grab eines verstorbenen Heiligen zu besuchen. Zugegebenermaßen war ich nicht einmal sonderlich religiös, habe mich mit dem Thema Gott nie wirklich beschäftigt und war in meinem ganzen Leben nur so oft in der Kirche, dass man es an einer Hand abzählen könnte. Es war mir nicht sonderlich wichtig und so war ich hier nun, erklomm einen Berg und rauschte nahezu an meinen Grenzen vorbei – an meinen körperlichen, wie auch an meinen geistigen. Stumm hing ich weiter meinen Gedanken nach, mein Körper und mein Geist arbeiteten nebeneinander, beinahe voneinander getrennt. Wie lange ich lief? Ich wusste es nicht. Doch langsam machte ich mir doch Sorgen – es ging nun nicht mehr bergauf, der Boden war eben und bald würde es wohl wieder bergab gehen. Die Herberge, zu der ich wollte, sollte aber auf dem Berg liegen und ich hatte sie auf meiner Karte mit einem roten Kreuz markiert. Eigentlich sollte ich schon längst da sein. Der Himmel färbte sich auch langsam dunkler, war er doch heute Nachmittag noch von einem satten Dunkelblau gewesen, so tasteten sich orangefarbene Wolken langsam den Horizont entlang und färbten das Himmelszelt dunkelrot. So schön der Anblick der Dämmerung auch war, so wurde ich doch langsam nervös. Ich stoppte, um mich suchend umzusehen. Hier irgendwo in der Nähe müsste die Herberge sein und sollte ich sie nicht finden – ja, was dann? Im Freien übernachten? Ehrlich gesagt sagte mir diese Idee nicht sonderlich gut zu und so besahen meine Augen nun beinahe ängstlich die Bäume, in der Hoffnung, ein Licht durch die Blätter scheinen zu sehen. Ich konnte nichts erkennen und so fing ich an, mir wirklich Sorgen zu machen. Sollte ich weiter laufen? Nach rechts? Nach links? Oder wohin? Etwas ratlos drehte ich mich um – und schrie erschrocken auf. Direkt vor mir stand ein Mensch und starrte mich aus beunruhigend hellblauen Augen an, die aus seiner gesamten Erscheinung hervorstachen. In den wenigen Herzschlägen, die ich brauchte, um hastig zurückzustolpern realisierte ich noch die dunkle, fast ausschließlich schwarz gehaltene Kleidung der Person vor mir, identifizierte sie als einen Mann mit einem markanten Kinn, lockigen schwarzen Haaren und einer Narbe quer über der rechten Wange. Dies ließ mich noch mehr zurück schrecken und eine Sekunde später stolperte auch mein Gegenüber zurück. „Entschuldigung!“, rief er, „ich wollte dich nicht erschrecken!“ Was für eine unglaublich weiche, dunkle, junge Stimme, dass war das Erste, was mir durch den Kopf schoss. Langsam beruhigte ich mich wieder, aber immer noch pumpte das Adrenalin durch meine Adern. Verständlich, wenn man sich umdrehte und dort wie in einem schlechten Horrorfilm ein dunkel gekleideter Mann mit einer Narbe im Gesicht stand, oder? Fehlte nur noch das Messer... „K-kein Problem!“, brachte ich stockend heraus und für meinen Geschmack war meine Stimme viel zu zittrig. Wer war der Kerl überhaupt? „Tut mir wirklich sehr Leid“, beteuerte er unnötigerweise noch einmal und lächelte dann. „Ich hatte dich nur gesehen und nehme mal aufgrund deines Gepäck an, dass du auch eine Pilgerin bist? Und wahrscheinlich suchst du die Herberge, stimmt's?“ Ich runzelte verärgert die Stirn. „Erst einmal – warum duzen Sie mich? Und dann, ja, ich bin eine Pilgerin. Ebenfalls suche ich die Herberge. Eigentlich müsste sie ja irgendwo hier sein, ich habe es mir auf meiner Karte markiert, aber irgendwie..“ Ich ließ den Satz so in der Luft verklingen, schaute noch mal auf die Karte, die im roten Abendlicht immer noch gut zu erkennen war. „Entschuldigung“, sagte er leicht zerknirscht und ich kam nicht drum herum leicht zu lächeln. „Ist schon okay, Sie können mich ruhig duzen.“ „Du mich auch“, sagte mein Gegenüber und lächelte. Trotz der Narbe, die sich über seine Wange zog und irgendwie beunruhigend wirkte, hatte er ein ehrliches, freundliches und einnehmendes Lächeln. „Ich habe mir schon gedacht, dass du die Herberge suchst“, sprach er weiter, „soll ich sie dir zeigen?“ Moment mal? Also.. leicht komisch war das schon. Ich hatte Pfefferspray griffbereit, trotzdem schien es mir nicht so sicher zu sein, einfach mit einem Mann mitzugehen, der mich zu Tode erschreckt hatte. „Hm.. ich weiß nicht. Du bist auch ein Pilger?“ Er lächelte und nickte. Ein ehrliches Lächeln hatte er definitiv und waren Pilger nicht friedliebend? Ich glaubte nicht, dass er mir etwas antun würde und ich würde schon gern diese Herberge finden, bevor ich im Freien übernachten müsste. „Na dann. Es wäre nett, wenn du mir die Herberge zeigen würdest.“ „Sicher, kein Problem. Sie ist recht schwer zu finden, ich habe auch eine Weile gebraucht. Du musst hier entlang, zwischen den Bäumen und dann ist hier gleich ein Trampelpfad und ein paar Laternen...“ Ich hörte nur mit halbem Ohr zu und musterte den Mann vor mir genauer. Schwarze, leicht abgewetzte Jacke, verwaschene Jeans und Wanderschuhe. Alles in dunklen Tönen gehalten. Ich kam zu dem Schluss, dass ich absolut wahnsinnig geworden war. Ich vertraute hier gerade blindlings einem Mann, der mich genauso gut von hinten hätte überwältigen und mir alles mögliche hätte antun können. Aber immerhin – dieser Mann führte mich innerhalb weniger Minuten tatsächlich zu der gesuchten Herberge und ich verstand, warum sie so schwer zu finden gewesen war. Umgeben von etlichen Bäumen, die jegliches Geräusch und jedes Licht schluckten war sie selbst am Tage schwer zu entdecken. Mein Begleiter öffnete mir die Tür und ich trat in die mollige Wärme des kleinen Hauses ein. „Wie heißt du eigentlich?“, fragte ich, während ich mir meine Jacke abstreifte. „Joschua“, antwortete er etwas einsilbig, lächelte dann aber wieder. Joschua. Ich weiß nicht, aber irgendwie passte der Name zu ihm. „Nett, dich kennen zu lernen. Du hast mich da gerade echt gerettet, danke!“ „Hab' ich doch gerne gemacht“, erwiderte Joschua und wies mir den Weg zu einem Tisch. Glücklich, endlich wieder sitzen zu können, nahm ich auf dem Stuhl Platz, mir gegenüber mein Retter. Die etwas füllige Wirtin kam auf uns zu, fragte freundlich, ob wir etwas essen wollten. Ich entschied mich für eine Hühnersuppe und Brot, Joschua lehnte dankend ab. „Und wie heißt du?“, fragte er mit schief gelegtem Kopf, nachdem die Wirtin hinter dem Tresen verschwunden war. „Jasmin“, antwortete ich. „Ein schöner Name“, meinte Joschua darauf und ich grinste. „Findest du?“ Draußen wurde das Abendrot langsam von dem Dunkel der Nacht aufgezehrt und die ersten Sterne leuchteten schwach durch die Wolken. Ich war mir sehr sicher, dass es regnen würde und war froh, durch Joschua doch noch die Herberge gefunden zu haben. Selbst durch das Fenster konnte ich sehen, wie der Wind durch die Bäume fuhr, Blätter und Zweige herunter riss und es wurde klar, dass die Nacht im Freien ziemlich ungemütlich geworden wäre. „Ja, finde ich“, antwortete Joschua da und riss mich so aus meinen Gedanken. „Was hat dich denn dazu bewogen, den Jakobsweg entlang zu gehen?“, fragte ich und schimpfte keine Sekunde später mein loses und neugieriges Mundwerk, das selbstverständlich schon sprach bevor mein Gehirn zum Denken kam. Wider Erwarten schien die Frage für Joschua nicht zu persönlich zu sein, er antwortete mir direkt. „Nicht direkt des Glaubens wegen. Ehrlich gesagt wollte ich eher andere Menschen treffen und kennen lernen, die solche Strapazen freiwillig auf sich nehmen. Viele gibt es davon ja leider nicht mehr. Denen, denen ich begegne, versuche ich dann aber zu helfen. So wie dir!“, schloss er mit einem herzlichen Lächeln. Ich nickte, wurde aber leicht rot. Er hatte wesentlich selbstlosere Gründe als ich, ich hatte einfach nur abhauen wollen. „Und was ist mit dir?“, fragte Joschua neugierig, dem die Veränderung meiner Gesichtsfarbe wohl nicht entgangen war. „Na ja.. ich hab' ja gerade erst mein Abitur gemacht. Ich wusste nicht so wirklich, was ich machen sollte und dazu kamen noch ein paar – okay, viele – Familienprobleme, die ich habe. Ich wollte davon was Abstand haben und bin deswegen auf die Idee mit dem Jakobsweg gekommen. Ich mach das nicht, weil ich besonders gläubig bin oder anderen Menschen helfen will oder so...“ Der leichte rote Schimmer lag immer noch auf meinen Wangen als die Wirtin mich kurzzeitig aus meiner Verlegenheit riss. „Bitte sehr, die Dame!“, lächelte sie und stellte einen großen Topf köstlich riechender Hühnersuppe so wie eine Platte mit duftendem Brot vor mir ab. „Möchtest du was?“, fragte ich hastig und bot Joschua das Brot an. Dieser lächelte dankbar, nahm das Brot und brach es. Mir schob er die eine Hälfte hin und die andere behielt er. „Das sind doch auch noch gute Gründe“, kam er dann auf unser ursprüngliches Thema zurück. „Was für Probleme? Du musst nicht antworten, wenn du nicht willst.“ Na ja, ich war eigentlich nicht der Typ, der irgendwelchen Leuten seine Lebensgeschichte erzählte, aber Joschua war anders. Ich konnte ihm vertrauen, irgendwie spürte ich das. „Es ist eigentlich zu viel, um alles zu erzählen, dass alles hat seinen Ursprung schon vor vielen Jahrengenommen. Zuerst erst einmal sollte ich wohl sagen, dass meine Schwester krank ist. Sehr krank. Sie ist älter als ich, 21, ist aber nie wirklich regelmäßig zur Schule gegangen. Sie hat irgendeine seltene Art von Krebs, und der zehrt sie langsam aus. Die Chemotherapie kostete Unmengen von Geld, hat aber nicht wirklich geholfen und nun liegt sie auf der Intensivstation.“ Ich brachte diese Geschichte erstaunlich nüchtern über meine Lippen, es gab Zeiten, in denen ich nach den ersten paar Worten anfangen musste, zu weinen. Aber mit der Zeit gewöhnte man sich wohl an die Bitterkeit, die ein krankes Familienmitglied mit sich brachte. Ich sah, dass Joschua etwas sagen wollte, fuhr aber schnell fort, bevor er etwas sagen konnte. „Versteh mich bitte nicht falsch, ich liebe Amelie wirklich sehr, aber ihretwegen wurde ich so gut wie immer übersehen. Die Chemotherapie hat wie gesagt Unmengen von Geld verschlungen, das dann zum Beispiel nicht dafür genutzt werden konnte, dass ich einen Führerschein machen konnte, oder auf eine gute Universität gehen konnte, da ich die Kosten alleine nun mal nicht tragen konnte. Ich arbeite zwar aber das ist bei weitem nicht genug, um alle Kosten decken zu können. Und so fing es vor zwei Jahren an, dass meine Mutter und ich immer öfter Streit hatten, meistens ging es um Geld, später aber eher darum, dass ich keine Zeit mehr mit meinen Freunden verbringen konnte, weil ich immer im Haushalt helfen musste. Kurzum: Ich musste immer den Kürzeren ziehen, kam immer erst nach meiner Schwester. Mir ist klar, dass das kindisch ist, aber hin und wieder ein wenig Aufmerksamkeit wäre wirklich nicht schlecht gewesen...“, brach plötzlich der Strom von Wörtern aus mir hervor. „Das ist nicht kindisch“, unterbrach Joschua mich dann, bevor ich weiter sprechen konnte. „Das ist nur natürlich. Unabhängig von deiner Schwester bist du ebenfalls die Tochter deiner Mutter und hast genauso viel Liebe und Aufmerksamkeit verdient.“ Ich lächelte schwach. „Danke, so sehe ich das auch, aber es ist nun mal eine ziemlich schwierige Situation gewesen. Nach meinem achtzehnten Geburtstag, also ist es noch nicht so lange her, zog ich dann aus und das gab auch einen riesigen Streit, weil meine Mutter das nicht wollte. Ich solle doch nicht so egoistisch sein und sie mit Amelie alleine lassen, sagte sie. Ich tat es trotzdem, weil ich fand, dass ich auch mein Leben leben dürfte.“ Joschua nickte. „So sehe ich das auch. Und wie ging es weiter?“ „Na ja... viel passierte nicht mehr. Hier bin ich jetzt. Das war zwar nur ein Bruchteil meiner Geschichte, aber wenn ich ehrlich bin, tut es ziemlich weh, darüber zu reden, also lasse ich es lieber..“ „Das verstehe ich vollkommen“, erwiderte Joschua aufrichtig und ich lächelte erleichtert. „Darf ich dich auch etwas fragen?“ „Natürlich.“ „Woher – woher kommt die Narbe auf deiner Wange?“ Kurzzeitig schloss Joschua die Augen. „Sie ist hässlich, ich weiß.“ „Ich finde eher, dass sie dich prägt“, antwortete ich ehrlich. Joschua lächelte müde. „Das ist eigentlich keine wirkliche Geschichte“, fing er an während ich mit großem Appetit über meine Hühnersuppe herfiel. „Es war lediglich eine kleine Auseinandersetzung mit.. meinem Vater, sozusagen.“ „Sozusagen?“, hakte ich nach. „Stiefvater, könnte man sagen. Mit meinem richtigen Vater verstehe ich mich.. hervorragend.“ Ich nickte, war zwar nun noch verwirrter als vorher, aber gut, daran war ich gewöhnt. „Es war eine kleine Diskussion, die so weit gegangen ist, dass er mir irgendwann ein Messer über meine Wange gezogen hat.“ Ungläubig weiteten sich meine Augen. „Du bist doch zur Polizei gegangen?“ „So einfach war das damals nicht“, antwortete Joschua, sein Blick ging in weite Ferne und er lächelte wehleidig. Ich merkte, dass er nicht weiter über dieses Thema reden wollte und mir rutschten – mal wieder - unbeabsichtigt ein paar Wörter über die Lippen. „Diese Welt ist scheiße.“ Alarmiert blickte Joschua auf, und mir direkt in die Augen mit diesen unheimlich hellen, blauen Augen. „Nein, ist sie nicht!“, widersprach er mir energisch, „dann kennst du die Welt noch nicht wirklich. Selbstverständlich gibt es viel, sehr viel, was schrecklich ist, aber dafür sind wir Menschen ja da: Um es zu ändern!“ „Und wenn die Menschen selbst die Verursacher sind, wie es in den meisten Fällen ja auch ist?“ „Dann“, meinte Joschua, „müssen diese Menschen erst einmal an sich selber arbeiten und andere Menschen ihnen helfen. Aber nicht die ganze Welt ist schlecht, auf gar keinen Fall.“ Das er das sagen konnte, als jemand, der anscheinend schon früh so grausam behandelt wurde, überraschte und motivierte mich gleichzeitig. „Du hast es gerade eben eigentlich schon richtig gesagt“, fügte Joschua noch hinzu. „Man muss sein eigenes Leben leben und versuchen, das Beste daraus zu machen. Man soll auf andere achten aber sich nicht nur nach anderen richten. Natürlich ist man ab und zu egoistisch, doch das ist eine menschliche Eigenschaft, die dazu da ist, dass man auch an sich denkt. Man muss die richtige Balance finden. Man darf sich selbst nicht vergessen aber auf keinen Fall seine Mitmenschen. Man muss immer mit offenen Augen durch das Leben gehen, man sollte aber nicht bei jeder Wegbiegung stehen bleiben sondern manchmal einfach seinem Herzen vertrauen und los gehen, egal, was um einen herum geschieht. Vergiss dich und deine Ziele nie, habe aber auch einen Blick für die Menschen, die um dich herum leben, Jasmin. Dann machst du es genau richtig.“ Mit gebannten Augen hatte ich an seinen Lippen gehangen. Sollte der Mann jemals Politiker werden, ich würde ihn sofort wählen. „Da ist wohl ein Philosoph an dir verloren gegangen“, war schließlich alles, was ich über meine Lippen brachte. „Ich werde auf jeden Fall versuchen, deine Ratschläge zu befolgen, so gut es mir möglich ist.“ „Und ich bin mir sicher, du schaffst das“, lächelte Joschua. „Du solltest jetzt schlafen gehen, es ist schon spät.“ Ich nickte und warf noch ein „Gute Nacht!“ über meine Schulter. Joschua antwortete mit einem „Schlaf gut!“ und wenige Minuten später fiel ich erschöpft in mein Bett. Beinahe sofort fielen mir meine Augen zu. Noch eine ganze Weile dachte ich über meine merkwürdige Bekanntschaft und seine weisen Worte nach, bis Morpheus mich schließlich langsam aber bestimmt in seine Arme zog.
Am nächsten Morgen weckten mich die Sonnenstrahlen auf, die durch das Fenster schienen. Langsam schlug ich die Augen auf, stand auf und streckte mich ausgiebig. Ich schaute aus dem Fenster und was ich erblickte, war atemberaubend. Die Sonne schwamm wie ein brennender, gelber Ball in dem ozeanblauen Himmel, der sich bis zum Horizont ohne eine einzige Wolke erstreckte. Vögel zwitscherten und ihr Gesang vermischte sich zu einer angenehmen Musik, der Duft von Blumen stieg mir in die Nase und das Sonnenlicht, das durch die Baumkronen brach, bildete auf dem erdigen Boden wunderschöne Muster, auf denen sich einige Tiere tummelten, sogar zwei Rehe erblickte ich. Kurz gefangen von diesem für mich überirdischen Augenblick fasste ich mich schnell wieder, machte mich fertig und lief nach unten, um Joschua zu suchen. Er saß an dem selben Tisch wie gestern Abend und begrüßte mich lächelnd. „Gut geschlafen?“ „Sehr gut“, erwiderte ich, „und du?“ „Ebenfalls“, grinste er und zeigte mir seine Handfläche, in der ein kleines, viereckiges Gerät lag. „Mein Handy?“, fragte ich erstaunt, „woher hast du das denn her?“ Ich hatte das Handy nur für absolute Notfälle mit genommen. Aber woher hatte Joschua es denn jetzt? „Du hast es gestern hier liegen lassen“, erklärte er und drückte es mir in die Hand. „Es hat zwischendurch einmal geklingelt.“ Seltsam. Ich hatte es eigentlich ausgeschaltet. Doch, tatsächlich, ich drückte die Entsperren-Taste und das Display leuchtete auf. „Komisch...“, murmelte ich. „Was denn?“ „Ich hatte das Handy eigentlich ausgestellt.“ Joschuas Augen lagen ruhig auf mir und er zuckte mit den Schultern. „Gerade eben erst hat es geklingelt.“ Ich stockte. Ein unbeantworteter Anruf. Meine Mutter hatte angerufen. Joschua, der ebenfalls auf das Display geschaut hatte, hob erstaunt die Augenbrauen. „Deine Mutter?“ „Scheint so... Sie ruft mich sonst nie an.“ „Es scheint wichtig zu sein. Vielleicht rufst du sie zurück?“ Das tat ich dann auch. Das Telefon klingelte einmal, noch einmal, und dann meldete sich die aufgeregte Stimme meiner Mutter, die ich seit Wochen nicht mehr gehört hatte. „Jasmin? Jasmin, bist du das?!“ „Ja. Was gibt’s denn?“ Ich war immer noch mehr als verwirrt. Was war los, dass meine Mutter mich auf einmal anrief? „Du musst nach Hause kommen, Jasmin, bitte, Liebling! Amelie ist aus dem künstlichen Koma erwacht und ihr Zustand verbessert sich laut den Ärzten rasant! Gestern Abend hat mich einer der Ärzte angerufen und es scheint so, als würden die Medikamente endlich anschlagen!“ Meine Augen weiteten sich. „Wi-wirklich?“, stotterte ich. „Ja!“, drang die euphorische Stimme meiner Mutter zu mir durch, wurde dann aber plötzlich ernst. „Jasmin, ich – ich – es tut mir Leid. Bitte, komm zurück, dann können wir noch einmal reden. Ich habe.. vieles, wirklich vieles falsch gemacht, aber ich will es wieder gut machen. Bitte komm zurück. Wir müssen miteinander reden.“ Wow. So eine plötzliche Sinnesänderung.. so kannte ich meine Mutter gar nicht. „O-okay“, antwortete ich, immer noch verwirrt. „Danke, Jasmin. Ich... danke. Komm erst mal zurück, dann kann ich dir die Situation genauer erklären, aber es sieht wirklich so aus, als ob es Amelie bald wesentlich besser gehen wird!“ Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. „Ich komme, so schnell ich kann.“ „Bis bald!“ Mit diesen Worten legte ich auf und sah Joschua freudestrahlend an. „Amelie geht es besser!“, rief ich, mit leuchtenden Augen. Joschua lächelte mich an, schien mindestens genauso glücklich zu sein wie ich. „Und meine Mutter – sie will mir mir reden, sie hat sich entschuldigt! Oh, verdammt. Das ist.. das ist ein Wunder. Das muss ein Wunder sein!“ Noch bevor ich geendet hatte, schlossen sich Joschuas Arme um mich und umarmten mich. „Das freut mich für dich, wirklich“, sagte er und schien ehrlich glücklich zu sein. „Ich muss nun aber auch weiter.“ „Moment – warte. Kannst du mir deine Handynummer geben? Wäre doch schade, wenn der Kontakt einfach so abbrechen würde..?“ „Ich habe kein Handy, tut mir Leid..“ „Wo wohnst du denn?“, fragte ich statt dessen. „Ich habe kein richtiges Zuhause. Meine Reise ist nie zu Ende, Jasmin.“ Kurz runzelte ich die Stirn und verzog dann unglücklich den Mund. „Gibt es keine Möglichkeit, mit dir in Verbindung zu bleiben? Ich brauche dich doch - dich und deine weisen Ratschläge!“ „Ich fürchte nein.. aber glaube mir, du bist selber für deine achtzehn Jahre sehr weise und schaffst das auch ohne mich. Sorge dich nicht, man sieht sich immer zwei Mal im Leben!“ Mit diesen Worten drückte er mich noch einmal fest an sich und verschwand dann so plötzlich durch die Tür hinaus, wie er erst gestern Abend hinter mir aufgetaucht war, hinterließ eine merkwürdige Leere in mir. Ich hatte ihn nicht einmal einen Tag gekannt und hatte trotzdem das Gefühl gehabt, ihn ewig zu kennen. Aber.. es stimmte. Man sah sich immer zwei Mal im Leben. Ich würde mich freuen, ihn wiederzusehen. Ich verschwand nach oben in mein Zimmer, packte meine Sachen, bezahlte die Wirtin und verabschiedete mich. Und als ich dort draußen so mit meinem Rucksack im Sonnenschein umgeben von Ruhe und Natur stand, beschlich mich das Gefühl, dass auch meine Reise nie wirklich zu Ende sein würde.
Schattenhauch Moderator
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Thema: Re: Everlasting Do Jun 18, 2015 9:38 pm
Ui, dann bin ich wohl die erste, die ein Kommentar (nach beschämender Inaktivität) zu deinem Geschreibsel abgibt. ^^ Es ist auf jeden Fall wunderbar geschrieben! Sehr eindrucksvoll, flüssig zu lesen und alles toll beschrieben. Ich kann jetzt eigentlich nicht sagen, was man hier großartig verbessern kann. Hattest du denn an dem Wettbewerb teilgenommen? Auf jeden Fall bin ich mir sicher, dass du super abgeschnitten hast! Der Text ist wirklich wunderschön geschrieben! :3
Liebe Grüße
Elfenlied Krieger/in
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Thema: Re: Everlasting Mi Jun 24, 2015 9:14 pm
Vielen lieben Dank! :) Und leider nur der zweite Platz..ich hatte die drei Jahre vorher infolge gewonnen, vermutlich war das der Grund :D
Schattenhauch Moderator
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Thema: Re: Everlasting Mi Jun 24, 2015 10:16 pm
Das ist immerhin auch ein Erfolg. ^^ Ui, und dreimal infolge gewonnen, das schafft auch nicht jeder. :D